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Tourenbericht: Artariastein Reißigkante

vom 16.05.2000


Vorgeschichte

Einer meiner Freunde, Kayer, ist erst seit einem knappen Jahr dabei und in diesem Frühjahr erstaunlich gut in Form.

Beim Blättern im neuen Kletterführer entdecke ich am Artariastein eine Kante, die Kayer´s Hinternamen trägt. Die Reißigkante, zwei Sternchen, 1936 erstbegangen, Schwierigkeit VIIa, Rotpunkt VIIb. Auf dem Artariastein war ich zwar vor ein paar Jahren schon einmal, aber damals bin ich keine Wege in dieser Schwierigkeit vorgestiegen und habe den Weg somit auch keines Blickes gewürdigt. Auch ich bin zur Zeit in Form, wie schon lange nicht mehr, und deshalb steht für uns beide fest: Die Reißigkante ist beim nächsten Bielatal-Besuch fällig, zumindest wollen wir einen Versuch wagen...


Die Umsetzung

Am 7. Mai, einem Sonntag, ist es dann soweit. Seit einigen Wochen scheint Sachsen in Florida zu liegen, jedenfalls ist das Wetter traumhaft. Auf dem Parkplatz im Bielatal wimmelt es von Kletterern, aber die meisten von ihnen zieht es, wie so oft, hinüber zu den Herkulessäulen. Nur wenige schlagen wie wir den Weg zur Johanniswacht ein. Fast alle meiner Kletterfreunde sind mit dabei.

Die höhere Rotpunktschwierigkeit lässt auf einen hohen Kraftbedarf schließen, also will ich erst mal was leichteres zur Erwärmung machen. Etwas beklemmt schleiche ich am Artariastein vorbei, nur flüchtig schaue ich einmal durch die Bäume zur steilen Südostkante hinüber. Den Alten Weg auf den Johanniskegel und den Nordwestweg auf den Pötzschturm machen wir zum Anfang, keine Probleme. Wieder unten. Mit einer Freundin habe ich mich soeben über deren Vorstiegsstil gestritten, jetzt brauche ich erst mal Abstand. Die Reißigkante kommt also gerade recht. Ich schnappe mir Kayer und haue mit ihm also erst mal runter zum Artariastein ab. Eine Viertelstunde stehe ich mit dem Kletterführer am Einstieg und versuche, den Wegverlauf genauer zu ergründen.

"An der SO-Kante Riss zu Abs. Über Überh. zu R. Re. queren, Rinne, Kamin u. Rippe (2. R) z.G." heißt es da lakonisch. Erst einmal habe ich nicht die rechte Orientierung, denn da hängen ja noch ein paar andere Ringe. Doch dann sehe ich die Rinne/Kamin, die wohl nach dem Quergang gemeint ist, und richtig, weiter oben kann ich an der Rippe den zweiten Ring blitzen sehen. Ich gehe noch mal runter in die Talseite um den Kamin einzusehen, aber viel kann man durch das Geäst der Bäume nicht erkennen. Fünf Minuten später stehe ich wieder am Einstieg, noch ringe ich mit meinem inneren Schweinehund, der laut bellt: "Mach lieber ´nen anderen schöneren Weg!"

Aber den inneren Schweinehund habe ich ja zum besiegen und außerdem habe ich es Kayer versprochen. Durch den vorangegangen Streit mangelt es mir zwar ein bisschen an Konzentration, aber ich will es jetzt wissen: "Auf geht´s Kayer, schieß´ das Seil auf, gib mir ´n Ende und geh´ ´rein´!" Kayer macht sich an einem Baum fest und geht in Sicherung. Ich hänge noch ein paar Schlingen an den Gurt, alles was ich zuviel mitnehme wird mich dann im Kamin stören, aber egal, der Weg ist lang und ich habe immer lieber etwas mehr Material mit. Eigentlich will ich Rotpunkt bis zum Gipfel klettern, mal sehen ob ich´s packen werde. Alles fertig stehe ich nun am Einstiegsriss, in den kein Sonnenstrahl fällt. Fast will ich den Mut verlieren, aber nichts da, Klassiker bekommt man eben nicht geschenkt...

Die ersten Meter im Riss gehen recht gut, ich kann viel auf Wand klettern und muss nur einmal den Arm verklemmen. Eine gute Rissschlinge kann ich auch legen, und so komme ich frischen Mutes auf dem Absatz an. Jetzt muss ich rechts rüber queren und dann über den Überhang zum ersten Ring hin, der in einer kleinen Felsnische steckt. Der Überhang sieht recht griffig aus, aber die Absicherung ist es, die mir im Moment mehr Gedanken macht. Die Rissschlinge grinst schon ziemlich weit unten... Mit einer 4m-Bandschlinge umwickle ich den Absatz, aber viel bringt das auch nicht. Doch da entdecke ich direkt unterm Überhang eine Möglichkeit, und tatsächlich, das ist eine 100prozentige Knotenschlinge, so gut wie ein Ring. Es kann also weitergehen!

Die lange Bandschlinge um den Absatz lasse ich an ihrem Platz, ein Fehler, der sich später noch rächen wird. Ich gehe den Überhang an und komme auch gleich gut drüber. Trotzdem ziemlich ausgepumpt klinke ich den ersten Ring und atme erst mal durch. Kayer ruft von unten "Gut gemacht!", wohl nur als Vorsteiger kann man einschätzen, wie wichtig diese mentale Unterstützung ist. So richtig erholen kann ich mich an dieser Stelle nicht, ich will ja rotpunkten und somit verklemme ich mich irgendwie in der Nische. Nach kurzem, unbequemem Ruhen erkunde ich die Querung, die ein wenig überhängt. Griffe gibt es gute, aber mit Tritten sieht es ein bisschen mau aus. Mitten im Quergang ist eine kleine Platte und schon verfluche ich mich, denn ich habe nur eine kurze Fusselschlinge mit. Mit dieser kann ich die Platte nur einfach umwickeln und nicht abbinden, was ich eigentlich möchte. Ich hänge die Schlinge trotzdem hin, jedoch mit 2 ineinander geklinkten Karabinern, damit sie sich nicht gleich von allein abhebt. So, jetzt werde ich wohl mal den Quergang testen, der Kamineinstieg sieht nicht besonders gemütlich aus, da er etwas überhängend ist.

An den Griffen hangele ich hinüber und greife mit rechts in die linke Kamininnenwand. Scheiße, kein Griff zu finden. Ich bräuchte aber einen, um mich in den Kamin zu schwingen. Also wieder zurück nach links zum Ring und etwas ausruhen. Mein Schweinehund meldet sich wieder und ruft mir zu: "Noch kannst Du abseilen, überleg es Dir!!". Aber nach nur einem Versuch will ich auf keinen Fall aufgeben, und so wird ein zweiter gestartet, schließlich ist die Absicherung ja ganz gut. "Kayer, aufpassen, ich versuch´s noch mal!" Ich quere wieder rüber nach rechts und befühle die linke Kamininnenwand, den Rest kann ich ja einsehen, da ist nicht viel Brauchbares. Und plötzlich finde ich dann den gewünschten Griff, komisch sage ich mir, warum habe ich den beim ersten Mal verpasst?? Also mal wieder viel Lärm um fast nichts...

Mit dem Gesicht nach links verklemme ich mich so halbwegs im Kamin, und rede mir ein, ´Ganz ruhig, du kannst Kamin klettern, also bleib auch ruhig.´ Trotzdem zittern mir die Knie, aber was soll´s, nur nach oben geht es weiter, zurück wäre sowieso nicht drin. Ich will gerade höher klettern, da taucht mit einem Mal ein Problem auf, was die nächsten zehn, fünfzehn Meter zur Qual werden lässt. Seilzug, aber nicht nur ein bisschen, sondern so stark wie noch nie zuvor. Noch hoffe ich, das Seil hat sich nur irgendwo verklemmt, aber nach wütendem Hinundherwackeln und noch wütenderem Fluchen meinerseits steht fest: Ich habe die Schlingen einfach zu kurz gelassen. Das rächt sich jetzt bitter, denn ich kann nur unter großen Kraftaufwand das Seil zentimeterweise nach oben ziehen. Schon schießt mir der Schweiß aus allen Poren und ich brülle immer wieder zu Kayer runter: "Verdammt noch mal, Kayer, mehr Seil!" Ich weiß genau, daß er es locker in den Händen hält, aber irgendwo muss ich meine Wut lassen. An normales Klettern ist nicht mehr zu denken, und bei dem Gedanken, dass es bis zum Gipfel noch weit ist, wird mir nicht besser. Also rufe ich hinunter "Rausgehen!". Kayer denkt, er hat sich verhört und fragt nach: " Häh, rausgehen?". Ich brülle zurück "Verfluchte Scheiße, ja, rausgehen!". Ein paar Sekunden später ist Kayer draußen, und ich kann unter großen Anstrengungen ein paar Meter Seil zu mir hinaufziehen. Ich fädele noch eine Kevlarschlinge und klettere im Kamin höher. Nein, so wird das nichts, ich werde am zweiten Ring nachholen müssen, es geht einfach nicht anders.

Nach hartem Kampf mit dem Seilzug komme ich dann am zweiten Ring an, der nur ein paar Meter unter dem Ausstieg an der im Kletterführer erwähnten Rippe steckt. Der Ring scheint wirklich zum Nachholen da zu sein, denn ich könnte auch ein paar gute Knotenschlingen legen. Außerdem war der Kamin höchstens III, und das letzte Stück Rippe ist auch höchstens IV oder V, obwohl noch die für das Bielatal typische, griffarme Kieselschicht kommt. Ich hänge mich also in den Ring ein und ziehe erst mal die Kletterschuhe aus, denn meine Füße sind Sekunden vor dem explodieren. Mein Fehler, denn die Kletterschuhe, die ich anhabe, sind erst 5 Tage alt.

Ich rufe zu Kayer runter, dass er sich einbinden soll. Doch nachdem er mich kämpfen und keuchen sehen hat, ist ihm die Lust auf Reißigkante komplett vergangen. Er will nicht. Ich nehme ihm das auch ab, denn ich weiß, wie viel ihm eine Durchsteigung seines "Namensweges" bedeutet hätte. Jetzt heißt es neuen Nachsteiger suchen. Veit, sonst immer zuverlässiger zweiter Mann, ist heute nicht mit dabei, also frage ich Stefan, der mit Uwe seit einiger Zeit zugesehen hat. Ihm fehlt es noch an Erfahrung, doch er hat mehr Talent als die anderen, dazu viel Kraft, Ausdauer und vor allem Mut. Den wird er auch brauchen, und doch weiß ich, dass er es bringen wird.

Nach kurzem Zögern bindet sich Stefan direkt ins Seil ein, ich will nicht alles Seil bis zum Ende hochziehen müssen. Der Seilzug ist noch immer enorm, mein armes Seil! Die Felsoberfläche wird davon auch nicht besser, aber ich kann´s jetzt auch nicht mehr ändern; und mit jedem Meter den Stefan zurücklegen wird, wird es ja besser werden. Stefan steigt ein und kommt auch gut bis unter den Überhang unterm ersten Ring. Ich weise ihn ein, und nach kurzem Ringen mit der Schwerkraft steht er auch schon am ersten Ring. Er baut die Schlingen ab, und ich merke, wie der Seilzug erheblich nachlässt. Stefan ruht kurz in der Nische aus und versucht das Queren in den Kamin. Aber das Seil, welches um die Kante rumgeht und von der Kevlarschlinge fixiert ist, behindert ihn sehr. Ich sehe von oben, dass er im Kamineinstieg auftaucht, aber da fliegt er auch schon weg. Er baumelt unter der Kante, aber es ist nichts passiert. Ärgerlich über den Sturz versucht er es ein zweites Mal. Jetzt klappt es schon besser, er klemmt unten im Kamin, ich kann sein Keuchen bis zu mir hoch hören. Gemeinschaftlich gelingt es uns, das Seil um die Kante zu schwingen, so dass ich ihn jetzt direkt von oben habe. Seilzugfrei!!! Das sorgt anscheinend auch bei Stefan für neue Energie, kurze Zeit später kommt er bei mir am Ring an. Ich lasse ihn erst mal ausruhen und dann besprechen wir das weitere Vorgehen. Ein kurzes Winken zu Bri, die drüben auf der Johanniswacht-Aussicht sitzt, Schuhe wieder an, dann geht es los. Die Rippe ist gut zu hangeln, ich hänge noch eine gute Schlinge hinter die Rippe und stehe wenig später auf dem Gipfel. Ich tauche ins Felsgewirr auf dem Gipfel ab und umwickele einen Block, um Stefan zu mir hochzusichern. Kurze Zeit später liegen wir uns in den Armen und wünschen uns sichtlich erleichtert "Berg Heil".

Jawohl, wir haben es geschafft, die Reißigkante ist besiegt. Die Cracks im Elbsandstein mögen angesichts solcher Worte mitleidig lächeln, aber für Durchschnittskletterer wie mich ist dieser Weg durchaus etwas, worauf ich stolz bin.


Ende gut, alles gut.

Gipfelbucheintragung, Abseilen und dann erst mal dringend was trinken. Gleich danach gehe ich zu Kayer und entschuldige mich bei ihm für das Gebrülle und Geschimpfe, aber er kennt mich, und nimmt mir das nicht übel. Getrieben von der Euphorie hänge ich noch die Silberdistel am Mauerblümchen an. Leider nicht Rotpunkt, dafür bin ich schon zu fertig, aber die RP-Begehung ist dann halt beim nächsten Mal fällig.

Abends liege ich halbtot im Bett und lasse den Tag Revue passieren. Ich würde ein Sternchen streichen, und die Schwierigkeit eher auf VIIb, RP auch VIIb einschätzen, aber es war auf alle Fälle ein schöner Weg. Trotzdem habe ich erst einmal genug davon. Auch weil ich mir die Sicherung nicht viel anders vorstellen kann, denn so lang, wie ich die ersten Schlingen einhängen müsste, wären sie schon wieder sinnlos. Am ersten Ring nachholen würde das Problem zwar lösen, doch dann könnte man von einer Rotpunkt-Begehung nicht mehr sprechen, denn dort würde man automatisch beim Nachholen im Ring ausruhen.

Egal, an den Gänsen gibt es ja auch noch den Reißigweg, aber der ist wohl nicht so mein Ding, zumindest mag ich überhängende Risse eher weniger...

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